Auf dem Halbtagsblog schreibt der Kollege Jan-Martin Klinge über moderne Mathematik-Schulbücher und vergleicht ihr “altes” Layout mit dem Aufbau neuer – vermeintlich kompetenzorientierter – Ausgaben. Ich habe mir hier einmal erlaubt, seine beiden Zeichnungen hier im Artikel einzufügen.
Klinge schreibt nämlich auch ganz richtig, dass die neuen Fassungen zwar optisch natürlich ansprechender sind und durch ihre Farbcodierungen, Info-Boxen und diversen Aufgabentypen motivierend und fordernd sein können. Dies gilt aber nur für mindestens durchschnittliche bis (sehr) gute Schüler – leistungsschwache Lernende haben enorme Probleme mit grafisch überfrachteten Seiten.
“Es ist kaum möglich, eine gewisse Routine zu erlangen, weil hier dies und dort jenes verlangt wird. Die Bilder und Geschichten lenken ab und verwirren.” (Quelle)
Klinge arbeitet daher lieber mit differenzierenden Lerntheken bei komplexer einzuführenden Themen, die auch eine gewisse Routine und mehr Übung benötigen.
Auf einen ganz wichtigen Punkt hat mich dies aber wieder gebracht, den ich auch in Fortbildungen immer wieder betone: Wir Lehrer versuchen mittlerweile auch immer öfter, unsere Arbeitsblätter möglichst bunt und abwechslungsreich zu gestalten – am besten noch mit Cliparts und bunten Bildchen aus der Google-Bildersuche (Copyright hin oder her). In den meisten Fällen haben die Bilder dann nur noch wenig mit dem Inhalt des Arbeitsmaterials zu tun, lockern das Ganze aber anscheinend auf. Für lese-rechtschreibschwache Kinder ist dies allerdings geradezu kontraproduktiv! Diese Schülerinnen und Schüler brauchen klar strukturierte Arbeitsblätter ohne Firlefanz und auch gerne ohne auflockernde Bilder – es wird sie nur ablenken. Da sie ohnehin mit dem Lesen des Inhalts- und Aufgabentextes Schwierigkeiten haben werden, sollte ihnen die Chance gegeben werden, sich wirklich nur auf den Text zu konzentrieren.
8 Kommentare
Danke. Als Mutter zweier intelligenter autistischer Kinder bin ich verzweifelt über diese neuartigen Lehrmaterialien. Sie führen, verkürzt gesprochen, dazu, dass ich (nach Feierabend / in den Ferien) meinen Kindern den Unterrichtsstoff mündlich beibringe – das bunte Gewusel lässt sie in hoffnungsloser Verwirrung zurück. Jede Aufgabe kommt in neuer Gestalt daher, ist für sie also eine völlig neue Aufgabe – Kind 1 konnte im Zahlenbereich bis 10 addieren als es in die Schule kam – am Ende der 1. Klasse hat es sich im Zahlenbereich bis 10 fehlerhaft ratend und fingerzählend bewegt. Nach 4 Wochen Kopfrechnen konnte es dann den Unterrichtsstoff…
Dankbar wäre ich mal für eine penible Schritt-für-Schritt-Anleitung “Wie decodiere ich Aufbau und Aufgabenstellung in modernen Schulbüchern” – ich habe ja nicht vor, die intensive Schulstoffbetreuung das nächste Jahrzehnt weiterzuführen.
Stimmt. Legasthene Kinder brauchen klare Strukturen und klar gegliederte, möglichst groß gedruckte Seiten – möglichst mit Flatterrand statt mit Blocksatz.
Auch die Anmerkungen zum Vokabellernen sind richtig. Je weniger man in den Zeilen “verrutschen” kann, desto besser.
Aber ich denke, das hilft allen Kindern, nicht nur Legasthenikern.
Nur: Legastheniker brauchen diesen 1a Aufbau unbedingt. Auch bei Arbeitsblättern, Tafelbildern, und … last but not least … auch bei Klassenarbeitsblättern!!!!
Stimme Ihnen zu 100% zu, Frau Matthes!
Hallo David!
Vielen Dank für diesen sehr schönen Beitrag. Ich könnte aus meiner Sicht als Logopäde noch lange hier sitzen und meinen Senf dazu geben, beschränke mich aber auf diese Punkte:
offensichtlich muss das Rad immer wieder neu erfunden werden statt bewährte Strategien des Lese-Rechtschreib- Erwerbs behutsam zu modifizieren. Ich erkenne oft eine Reizüberflutung und auch den Gedanken, so schnell wie möglich so weit wie möglich kommen zu müssen. Behutsamer Aufbau von Wissen bleibt auf der Strecke, Kinder mit weniger guten Voraussetzungen sind die Verlierer dieses Prinzips. Sie werden zu Lernfrust fast genötigt und sind nicht mehr in der Lage, ihr zweifellos vorhandenes Potential zu entwickeln. Nach den ersten Wochen im ersten Schuljahr müssen Texte Sinn entnehmend gelesen werden obwohl noch nicht alle Buchstaben bekannt sind, Flächenlehre wird da schon gelehrt bevor grundlegende Rechenschritte beherrscht werden.
Obwohl die Probleme der Kinder sehr oft in der Lernmethode begründet sind, wird daraus im Laufe der Zeit ein Krankheitsbild geschaffen. Doch wer oder was ist in diesem Fall krank? Die Kinder jedenfalls nicht
Man könnte es noch drastischer formulieren: Den überwiegend so leblosen, weil durchweg auf auswendig gelerntes, reproduzierendes Wissen sowie auf Kategorien von richtig/falsch setzenden Büchern, soll ein Anstrich von Frische und Lebendigkeit verpasst werden.
Und die Jugend sitzt in all ihrer Frische und Lebendigkeit so fassungs- wie verständnislos vor diesen überladenen Prospekten und versteht – wer mag es ihr verübeln? – die Welt nicht mehr. Es wird Zeit, dass Unterrichtsmaterialien endlich von Schülern für Schüler erstellt werden. Dass die Anmaßung der Erwachsenen, sie wüssten immer, was das Beste für Kinder ist, hin und wieder in Anklänge von Demut umschlägt.
Hallo Herr Kerbs
Ihren Vorschlag, Schüler sollten Bücher für Schüler gestalten, kann ich nur unterstützen! Überhaupt sollten Jugendliche lernen, wie man sich gegenseitig coacht und unterstützt- der Lehrer sollte viel mehr Begleiter sein -als jemand, der angeblich “wissend” vor lauter vermeintlich “dummen” Menschen steht, denen etwas beigebracht werden muss…
Viele Grüße
Angelika Stein
Schule sorglos
Die Problematik des überboardenden Layouts ist in Lerntherapiepraxen hinlänglich bekannt und beschert uns eine Menge neuer Schüler. Ich empfehle gern den Lehrgang “Lesen und Rechtschreiben lernen nach dem IntraActPlus-Konzept” von Jansen, Streit und Fuchs. http://amzn.to/GG0FLo
Es hat eine klare Schrift, einen systematischen logischen Aufbau und keine Bilder. Dafür funktioniert die Methode schnell und sicher. Und Kinder lernen damit atemberaubend schnell. Auch für erwachsene Analphabeten sind die Vorlagen geeignet.
Aber – für Erwachsene sehen die Seiten einfach “langweilig” aus. Vielleicht liegt es daran, dass diese Methode in Schulen nicht weiter verbreitet ist. Schade für die Kinder.
Auf der Suche nach Anregungen für ein vernünftiges Layout für ein geplantes Open-Source-Physik-Lehrbuch (für die Oberstufe des Gymnasiums) bin ich auf diesen Beitrag gestoßen. Ich persönlich habe während meiner Schulzeit, und die ist noch nicht so lange her(!), am besten aus alten DDR-Büchern gelernt, die ohne Umschweife und unnötige Visualisierung oder Farbcodierung das Wesentliche erwähnen. Ganz offenbar geht es vielen Jugendlichen ähnlich. In der Hoffnung auf mathematisches und physikalisches Verständnis gelobe ich, mich an dieses Prinzip zu halten!