Die Birkenbihl-Fremdsprachenlernmethode für Legastheniker

Karin HolensteinKarin Holenstein ist Lehrerin, zertifizierte Birkenbihl-Trainerin und Inhaberin der Firma «protalk». Sie unterrichtet seit Jahren als Fachlehrerin für Englisch an einer staatlichen Schule in der Ostschweiz, wo sie die Birkenbihl-Methode in Ergänzung zum Schullehrmittel einsetzt. Zudem ist Karin Holenstein seit über zehn Jahren als Sprachlehrerin für Erwachsene und Beraterin sowie als Referentin für gehirn-gerechtes Lernen und Lehren tätig. In ihrem Buch «Gehirn-gerechtes Sprachenlernen», das ich hier bereits vorgestellt hatte, zeigt Karin Holenstein, wie sich eine Fremdsprache leicht, effizient und wirkungsvoll erlernen lässt.

In folgendem Film erhalten Sie einen Überblick in die vier Schritte der Birkenbihl-Methode:

Dies ist möglich, wenn Schüler gehirn-gerecht Lernen können. Im Film sehen Sie zwei Schülerinnen nach gut zwei Jahren Englischunterricht (erstes u. zweites Jahr mit drei Wochenlektionen Englisch, danach noch zwei Lektionen pro Woche). Der Junge am Ende des Films lernt seit einem halben Jahr Englisch.

(Weitere Einblicke finden Sie im Filmtagebuch von Karin Holenstein.)

Frau Holenstein hat sich dankenswerterweise zur Verfügung gestellt, mir einige Fragen zur Birkenbihl-Methode – auch im besonderen Blick auf Legasthenie und LRS – zu beantworten.

Interview: Die Birkenbihl-Methode zum Fremdsprachenlernen – eine Alternative für Legastheniker?

Welche Vorteile hat die Birkenbihl-Methode gegenüber dem “klassischen” Fremdsprachenlernen?

Einer der wohl grössten Vorteile ist es, dass die Schüler gehirn-gerecht lernen können und Aktivitäten, wie Lesen, Schreiben und Sprechen erst dann erfolgen, wenn im Gehirn die erforderlichen Nervenbahnen bestehen. Meine Schülerinnen und Schüler sind sehr froh, dass das ungeliebte Vokabelpauken wegfällt. Dafür arbeiten wir mit einer wortwörtlichen Übersetzung (Dekodierung), sodass der Lernende von Anfang an einen Einblick in die Fremdsprache erhält.

Und was sagen Ihre Schülerinnen und Schülerinnen zum Sprachenlernen mit der Birkenbihl-Methode?

Meine Lernenden schätzen das passive Hören sehr. Allen ist nach kurzer Zeit klar, dass das Gehirn diesen Lernschritt braucht, um die erforderlichen Nervenbahnen zu bilden. Im Weiteren kann jeder Lernende individuell auf seinem Niveau lernen. Die Schüler lernen im Klassenverband zwar mehrheitlich mit denselben Texten, jeder hat aber in diesem Text so und so viele neue Wörter. Meine Schülerinnen und Schüler übernehmen sehr früh und aus eigenem Antrieb Verantwortung. Beispielsweise hören neuronal langsamere Lerner freiwillig länger passiv als es von mir als Hausaufgabe vorgegeben ist. Nach dem passiven Hören fallen alle Aktivitäten und die Übungen im Schulbuch leicht und machen sogar Spaß. Meine Schülerinnen und Schüler können sich ein lernen ausschließlich mit dem Schulbuch gar nicht (mehr) vorstellen.

Was beobachten Sie bei Ihren Schülerinnen und Schülern?

Diese Vorgehensweise führt zu Erfolgserlebnissen, sodass meine Lernenden automatisch (genau genommen intrinsisch) motiviert sind und Freude am Fremdsprachenlernen haben. Auch zwei Sprachen (Englisch und Französisch) gleichzeitig zu lernen ist ihnen übrigens nicht zu viel. Und auch die Eltern staunen jeweils, wie genau die Formulierungen und wie akzentfrei die Aussprache ist. Die Eltern sehen, wie einfach ihre Kinder lernen und wie gut sie die Sprache z.B. im Urlaub anwenden können. Das macht dann auch wieder die Kinder stolz.

Welche Erfahrungen haben Sie speziell mit der Birkenbihl-Methode und Legasthenikerinnen/Legasthenikern machen können?

Mit betroffenen Schülern erlebe ich immer wieder, dass gerade ihnen die Kombination Schullehrmittel plus Birkenbihl-Methode sehr entgegen kommt. Sie hören in vielen Wiederholungen und können einen großen Teil der Lernarbeit dem Unbewussten abgeben. Gerade durch das viele passive Hören haben Legastheniker Erfolgserlebnisse beim Sprachenlernen, denn der Schwerpunkt von Vokabeln und Grammatikregeln pauken und vielen Schreibübungen verlagert sich auf das Verstehen und Sprechen. Jetzt können Legasthenikerinnen/Legastheniker ihre Stärken ausspielen. Mit dem Schreiben haben sie zwar auch in der Fremdsprache Mühe, aber dies ist jetzt nur noch ein kleiner Teil des Ganzen. Beim herkömmlichen Sprachenlernen wird meist sehr viel Wert auf eine korrekte Rechtschreibung gelegt und so sind Legastheniker oft völlig blockiert. Ich erlebe aber gerade diese Lerner als sehr sprachgewandt, wenn sie sich mündlich ausdrücken dürfen und dies aufgrund der angebotenen Methode auch können und gerne tun.

Alle Lernenden üben bei mir die Rechtschreibung in der Zielsprache vor allem mit dem Folientrick. Dies ermögliche ein gehirn-gerechtes Rechtschreibtraining, das alle Lernenden – auch Legastheniker – gerne durchlaufen, denn sie können autonom und gemäß ihren eigenen Bedürfnissen individuell üben.

(Den Film zur Vorgehensweise mit dem Folientrick finden Sie hier.)

Vielen Legasthenikern/ Legasthenikerinnen fällt es schwer zu lesen. Was können Sie hierzu sagen? Bewirkt hier die Birkenbihlmethode etwas?

Mir fällt immer wieder auf, dass Lernende die eine sogenannte „Leseschwäche“ haben, Texte gut lesen können, die sie zuvor aktiv und passiv gehört haben. Ein Schüler ist mir in besonderer Erinnerung. Er sollte im neuen Schuljahr mit dem Englischlernen beginnen. Da sagte der Klassenlehrer vorgängig zu mir: „Ach der arme S., der kann ja kaum Deutsch lesen, wie soll er jetzt auch noch Englisch lernen!“ Mir liegen gerade Schüler mit schwierigeren Voraussetzungen sehr am Herzen und ich habe mich von dieser Aussage nicht beeinflussen lassen. Die vorausgesagten Probleme blieben dann auch aus. Der besagte Schüler konnte durch das passive Hören die Hörtexte so gut verinnerlichen, dass er diese Texte dann auch gut lesen konnte. Besonders spannend: Er konnte dann tatsächlich eine Weile besser Englisch lesen als Deutsch. Später waren auch Texte in Deutsch für ihn einfach zu lesen! Hier liegt also ganz viel drin, wenn die Lehrperson die Fähigkeiten nutzt, die da sind. Gemäß meinen Erfahrungen liegt es meist nicht am Schüler, wenn etwas nicht klappt, sondern an den falschen Lehrmethoden. Diese müssten öfter hinterfragt und an die jeweilige Lernsituation angepasst werden.

Ist – Ihrer Einschätzung nach – die Birkenbihl-Methode für Legastheniker eine bessere Methode zum Fremdsprachenlernen? (Wenn ja, warum?)

Ja, weil gerade Verstehen und Sprechen, die uns angeboren sind, gefördert werden. Und dies macht die Sprachkompetenz vor allem aus. Wenn Sie bedenken, wie neu Lesen und Schreiben in der Entwicklung der Menschheit sind so wird klar, dass damit selbstverständlich nicht alle Menschen gleich gut umgehen können. Lesen, Schreiben, Rechnen etc. sind Kulturleistungen, die noch sehr jung für uns sind. McGuinness sagt dazu, dass es falsch ist, von einer Dys-Funktion zu sprechen, wenn jemand  in einer dieser Kulturleistungen nicht klar kommt. Von einer Dys-Funktion könne nur gesprochen werden, wenn eine genetisch angelegte Disposition nicht zur Entfaltung kommt (taub, schlecht sehen, blind, nicht gehen können, etc.) – also wenn jemand tatsächlich krank oder körperlich eingeschränkt ist. (McGuinness, Diane: When children don’ t learn. New York: Basic Books, 1985)

Viele Menschen können nicht gut tanzen, musizieren oder zeichnen (ebenfalls Kulturleistungen). Sie kennen bestimmt jemanden. Hier sagt keiner: Du bist dys-tänzerisch, dys-musikalisch oder dys-zeichnerisch. Aber wehe jemand kann nicht gut rechnen, lesen oder schreiben. Dann hat das Kind eine Teilleistungsschwäche, dann masst man sich an, es als krank zu bezeichnen.

Ich versuche ganz einfach eine Möglichkeit anzubieten, wie sie mit ihrer «Schwäche» umgehen können, wo ihre Stärken sind und wie sie diese nutzen können. Und ich zeige ihnen dazu verschiedene gehirn-gerechte Lernmethoden. Die Birkenbihl-Methode in der Kombination mit dem Schullehrmittel hat sich gerade für Legasthenikerinnen/Legastheniker in meinem Schulzimmer bewährt. Schüler, die neu in meine Klasse kommen und jede Freude am Sprachenlernen verloren hatten, blühen geradezu auf.

Welche Tipps und Empfehlungen können Sie Legasthenietrainerinnen und -trainern für ihre Arbeit mit lese-rechtschreibschwachen Lernenden geben?

Ich beschränke mich hier auf Empfehlungen für das Sprachenlernen. Kombinieren Sie das Schulbuch mit der Birkenbihl-Methode. Nehmen Sie nicht einen Text, den der Schüler momentan in der Schule behandelt, sondern nehmen Sie einen Text, der in naher Zukunft an der Reihe sein wird. Mit diesem Text (den Sie gemeinsam mit dem Schüler dekodieren oder ihm eine fertige Dekodierung abgeben) machen Sie mit dem Lernenden aktives Hören und zwar so lange, bis er den Hörtext versteht.  Danach kann er dann passiv hören und wird in der Schule wieder erste Erfolgserlebnisse haben, denn er versteht nun die Lehrperson besser, kann sich aktiv(er) am Unterricht beteiligen und die Übungen im Schulbuch fallen leichter, den diese Tätigkeiten rutschen nun automatisch in den vierten Lernschritt, in die Aktivitäten. Mit dem Unterschied zur herkömmlichen Vorgehensweise, dass der Lernende nun schon Nervenbahnen im Gehirn gebildet hat, wenn er lesen, sprechen, schreiben soll. Wie Sie Vorhilfe statt Nachhilfe machen können, erfahren Sie in folgendem Film:

 Weitere Informationen zu Frau Holenstein und Ihrer Arbeit finden Sie auf ihrer Website: Hier klicken!

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  • Dieser Blog beschäftigt sich mit der Förderung legasthener oder lese-rechtschreib-schwacher Englischlerner. Hier sollen Lösungen für LRS-Schüler/innen und deren Trainer/innen und Lehrkräfte vorgestellt und diskutiert werden.